Liebe Ukraine-Interessierte,
erst einmal hoffe ich, dass Sie gut ins Neue Jahr gekommen sind und wünsche Ihnen in diesem Jahr Gesundheit, Glück und uns allen Frieden! Besonders für die Ukraine! Die Bedrohung durch Russland ist eins der brennensten Themen der Politik und beherrscht aktuell die Medien. Es nimmt auch in dieser Linksammlung den Hauptplatz ein.
Von unserem Verein ist zu berichten, dass uns viele Spenderinnen und Spender ihr Vertrauen geschenkt haben, so dass wir ein sehr gutes Ergebnis einfahren konnten. Damit sind das Nürnberger Haus und unsere Sozialprojekte in Charkiw auf jeden Fall in diesem Jahr abgesichert. Vielleicht können sie sogar erweitert werden. Immer unter der Voraussetzung, dass es keinen Krieg gibt, woran man gar nicht denken mag.
Covid 19
In der Ukraine wu4rden bislang mehr als 14,8 Millionen COVID-19 Erstimpfungen durchgeführt (Stand: 10.01.2022). Dies entspricht einer Impfquote von 34,15% bei den Erstimpfungen. Vollständig geimpft sind 32,34% der Bevölkerung. 41.141 Boster Impfungen wurden bisher durchgeführt. Das Tempo hat sich erheblich gesteigert. https://www.corona-in-zahlen.de/weltweit/ukraine/
Die stellv. Gesundheitsministerin Maria Karchevych verkündete am 10. 01. dass die Ukraine die Gültigkeit von Covid-19 Impfzertifikaten verkürzt wird, von einem Jahr auf 270 Tage.
https://kyivindependent.com/national/ukraine-to-reduce-validity-of-covid-19-certificates-to-9-months/
Präsident Selenski startete eine Impfkampagne für 12 - 18jährige; er verspch ihnen je 1.000 Hrywnia versprach, wenn sie sich impfen lassen würden.
https://www.president.gov.ua/news/prezident-postaviv-uryadu-zavdannya-rozrobiti-programu-vipla-72361
Innenpolitik
Wir beginnen mit einem Rückblick auf Selenskij Kampf mit den Oligarchen Medvedchuk, Achmetov und Poroschenko. Medvedchuks Russland-freundliche Fernsehkanäle wurden abgeschaltet, und er selbst stand ein halbes Jahr unter Hausarest. Gegen Poroschenko wird ermittelt wegen Hochverrat; er soll Kohle, die im Separatistengebiet gefördert wurde, gekauft haben. Achmetovs Firmen wurden mit hohen Steuern und Strafen belegt. Das neue Oligarchengesetz, das im September verabschiedet wurde, ist besonders gegen diese 3 Personen gerichtet. Gemäß dem Gesetz ist ein Oligarch ein Unternehmer, der drei von vier Kriterien erfüllt: den Besitz von Aktiva im Wert von über 80 Millionen Dollar; eine aktive politische Tätigkeit; die Monopolstellung in einem Wirtschaftsbereich; und eine erhebliche Einflussnahme auf die Medien. Der Nationale Sicherheitsrat entscheidet, wer zum Oligarchen erklärt wird. Er untersteht Selenskyj und ließ bereits prorussische Medien sperren. Allerdings ist damit auch die Pressefreiheit in Gefahr. So hat der Nationale Sicherheitsrat der Ukraine zwei oppositionelle Fernsehkanäle mit Sendeverbot belegt: „Pershij Nesaleshniy" und „UkrLive".
https://en.hromadske.ua/posts/zelenskyy-at-war-with-akhmetov-poroshenko-medvedchuk-roundup-of-2021
https://www.kyiv-dialogue.org/de/news/artikel/newsreader/pressefreiheit-in-gefahr-wie-praesident-selenskyj-gegen-die-oligarchen-kaempft-und-dabei-seinen-einfluss-auf-die-medien-staerken.html
https://taz.de/Pressefreiheit-in-der-Ukraine/!5824760/
Wie geht es weiter mit den Reformen? Der Atlantic Council nennt 10 Punkte, die helfen können, eine erfolgreiche soziale, rechtliche, wirtschaftliche und politische Transformation zu erreichen. https://www.atlanticcouncil.org/blogs/ukrainealert/learning-the-lessons-from-ukraines-post-maidan-reform-experience/
Die Rechtsberaterin beim Atlantic Council Tetiana Shevchuk schlägt Alarm, denn kurz vor Weihnachten wurde die Ernennung des höchsten Staatsanwalts zuständig für den Kampf mit der Korruption verzögert. Damit befindet sich eine der ukrainischen Schlüsselinstitutionen , die Antikorruptions-Staatsanwaltschaft (SAPO) ohne eine unabhängige Leitung, was die ganze Antikorruptionskampagne des Landes in Zweifel zieht.
https://www.atlanticcouncil.org/blogs/ukrainealert/ukraine-enters-holiday-season-with-anti-corruption-reforms-in-danger/
2021 stiegen die Preise für Grundnahrungsmittel und Energie um 10%. Die Inflationsrate liegt auch bei 10%, die höchste seit 2018. https://kyivindependent.com/business/prices-rise-by-10-in-ukraine/ http://www.ukrstat.gov.ua/express/expr2022/01/01.pdf
Auf der lokalen Ebene gibt es in kleineren Städten auch sehr positive Entwicklungen, die vor allem von der Zivilgesellschaft bewirkt werden, so in den ukrainischen Städten Winnyzja im Westen und Slowjansk im Osten. Zum siebten Mal in Folge steht Winnyzja auf dem ersten Platz des Rankings des International Republican Institute zur Lebensqualität in ukrainischen Städten. Die folgende Reportage beschreibt, was dieses regionale Zentrum mit 367.703 Einwohnern zur lebenswertesten Stadt der Ukraine macht . https://www.kyiv-dialogue.org/de/news/newsreader/winnyzja-die-lebenswerteste-stadt-der-ukraine.html
Der Deutsch-Russische Austausch hat 2019 in Slowjansk, wo 2014 der Krieg begann, das Zivilgesellschaftszentrum „Drukarnia"gegründet. Hier ein Interview mit der Leiterin über die Arbeit des Zentrums. https://www.austausch.org/das-zivilgesellschaftszentrum-drukarnia-in-slowjansk/articles/das-zivilgesellschaftszentrum-drukarnia-in-slowjansk/
Und es gibt gender-relevante Zusatzklauseln zu Gesetzen, die die Werbung betreffen. Am 08. Januar traten sie in Kraft und richten sich gegen geschlechtliche Diskriminierung bei der Einstellung von Arbeitskräften sowie gegen Sexismus und übermäßige Sexualisierung in der Werbung. https://kyivindependent.com/business/ukraine-bans-gender-stereotyping-sexism-in-job-listings-advertising/
Nordstream 2
In einem Interview am vergangenen Wochenende sprach sich Robert Habeck für Sanktionen gegenüber Russland aus im Fall eines militärischen Angriffs auf die Ukraine. Für ihn könnten Gaslieferungen durch die neue Pipeline dann (endlich) infrage stehen. Habeck könnte allerdings schon jetzt die Reißleine ziehen, sagt die renommierte Umwelt- und Energieanwältin Cornelia Ziehm.
https://taz.de/Umstrittene-Gasleitung-Nord-Stream-2/!5820863/
Russlands militärischer Aufmarsch an der Grenze und die internationale Diplomatie
Diese Entwicklung hält die ganze Welt in Atem und Angst. HIer ein paar Stellungnahmen.
Reporter Illia Ponomarenko bei "The Kyiv Independent" skizziert verschiedene ziemlich schreckliche Szenarios eines russischen Angriffs. Er hält ihn aber dennoch nicht für wahrscheinlich, denn eine direkte Invasion und Besetzung der Ukraine wäre zu kostspielig würde das zu einem langjährigen Krieg, der nicht zu gewinnen wäre führen mit einem hässlichen Ende. Das wüsste er Kreml, der allerdings angesichts der Panik der Europäer sourverän das Spiel der Einschüchterung spielen würde. https://kyivindependent.com/national/if-russia-launches-new-blitzkrieg-in-ukraine-what-would-that-be/
https://kyivindependent.com/opinion/illia-ponomarenko-is-russia-really-about-to-invade-ukraine/
Erklärung der Außenministerinnen und Außenminister zu Russland und der Ukraine vom 12.12.2021: eine Verurteilung der militärischen Aufrüstung Russlands.
https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/g7-russland-ukraine/2501126
Mit den Maximalforderungen Russlands, die NATO solle ihre Truppen aus den osteuropäischen Nachbarstaaten abziehen und die Ukraine und Georgien sollten niemals der NATO beitreten, versucht Russland das bisherige strategische Gleichgewicht in Europa zu seinen Gunsten zu verschieben und eine neue europäische Ordnung herzustellen, mit Russland in beherrschender Rolle.
Andreas Umland warnt vor Appeasement Politik gegenüber Russland und macht geltend, dass alle historischen Erfahrungen zeigen, diese Strategie würde kein Ende der Moskauer Begehrlichkeiten bringen.
https://www.atlanticcouncil.org/blogs/new-atlanticist/the-nato-russia-standoff-could-redefine-the-transatlantic-relationship/
https://www.nzz.ch/meinung/beuteobjekt-ukraine-wie-moskau-lernte-die-eskalation-zu-lieben-ld.1659377
https://taz.de/Putins-Kalkuel-und-Bidens-Beitrag/!5818687/
Peter Dickinson vom Atlantic Council ebenso wie Gesine Dornblüth heben hervor, dass Putin schon längst in der Ukraine Krieg führt, Regionen besetzt hat und sein vorrangiges Ziel ist, die Ukraine zu destabilisieren und über sie zu verfügen. Er habe mehrfach Regeln und Zusicherungen gebrochen und würde es wieder tun. die Täter und Opferrolle würde im russischen Narrativ vertauscht. Mit dem Westen spielte Putin Katz und Maus , worauf weder die USA noch Europa noch die NATO eingehen sollten. Jan C. Behrends weist darauf hin, dass besonders Deutschland sich zur russischen Bedrohung neu positionieren müsse; statt Aussitzen und Verleugnen sei es Zeit für Abschreckung und Eindämmung, um den Frieden in Europa wiederherzustellen.
https://www.deutschlandfunk.de/der-videogipfel-biden-putin-kalkuel-und-optionen-im-ukraine-konflikt-dlf-712608da-100.html
https://www.atlanticcouncil.org/blogs/ukrainealert/memo-to-the-international-media-putin-has-already-invaded-ukraine/
https://www.salonkolumnisten.com/die-erste-krise-der-ampel/ https://taz.de/Putins-Kalkuel-und-Bidens-Beitrag/!5818687/
Im IPG-Journal der Friedrich Ebert STiftung stellt die Historikerin Liana Fix fest, jetzt müsse die Bundesregierung die europäische Sicherheitsordnung mit größtmöglichem politischen Einsatz verteidigen. Das bedeute keine Gespräche über die Köpfe der Ukrainer hinweg und die Androhung harter Sanktionen, inklusive des Stopps von Nord Stream II Russland gegenüber, falls es seine Drohung wahrmacht.
https://www.ipg-journal.de/rubriken/aussen-und-sicherheitspolitik/artikel/bewaehrungsprobe-5633/
Der Tagesspiegel weist auf mögliche Folgen eines Krieges hin: hundertausende ukrainische Geflüchtete würden sich auf den Weg in die EU machen.
https://www.tagesspiegel.de/politik/moegliche-folgen-eines-krieges-hunderttausende-ukrainische-gefluechtete-in-der-eu/27915252.html
Reaktionen in der UKraine und Verteidigungbemühungen
Ein Bericht des "Guardian", wie ukrainische Soldaten den drohenden Krieg einschätzen, hebt hervor, dass sie keine Angst haben und bereit sind zu kämpfen. Sie machen geltend, dass die ukrainische Armee erfahrener und besser ausgerüstet sei als vor 8 Jahren und dass Russland es mit einem Guerillakrieg zu tun habe, wenn es noch mehr ukrainisches Land besetzen würde. Die digitale Nachfolgezeitung der Kyiv Post "The Kyiv Independent" berichtet über eine Umfrage des Kyiv International Institute of Sociology, nach der mehr als die Hälfte der Ukrainer sich im Falle einer russischen Invastion aktiv wehren würde.
https://www.theguardian.com/world/2021/dec/10/nobody-wants-to-be-putins-slave-on-the-ukraine-frontline-as-tensions-rise
https://kyivindependent.com/national/poll-over-half-of-ukrainians-will-actively-resist-russian-invasion/
Und das erwarten Ukrainer vom Westen: in erster Linie, dass sie mit am Tisch sitzen und nicht über ihre Köpfe ohne sie verhandelt wird. Mit Blick auf die besorgniserregende Lage an der Grenze zu Russland ist natürlich der Maximalwunsch die NATO-Mitgliedschaft des Landes. Man weiß aber, dass dies zurzeit nicht möglich ist. Deshalb fordert man erst einmal konkrete Sanktionen, auf die der Westen sich schon im Vorfled festlegen sollte und nicht erst, wenn Russland die Grenzen verletzt hat- Am effektivsten wäre der Ausschluss Russlands aus dem Finanztransaktionssystem SWIFT.
https://www.mdr.de/nachrichten/welt/osteuropa/politik/ukraine-russland-nato-usa-westen-gespraeche-putin-biden-selenskyj-100.html
Immerhin machte sich der EU Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik Josep Borrell ein Bild von der Lage in der Ostukraine und will diesen Besuch auch als ein Zeichen der Unterstützung für Kiew verstanden wissen.
https://taz.de/!5823623/
Reinhard Veser von der FAZ plädiert dafür, der Ukraine Waffen zur Selbstverteidigung zu liefern.
https://www.faz.net/aktuell/politik/warum-die-nato-der-ukraine-waffen-liefern-sollte-17682778.html
Russland
Im der Mediathek des HR2 gibt es eine interessante Sendung über den Zusammenbruch der Sowjetunion, dessen Langzeitfolgen jetzt erst richtig zutage treten. Denn 30 Jahre später sind die Schatten der ehemaligen Sowjetunion so spürbar wie lange nicht mehr. Russland ist beherrscht von der Sehnsucht nach alter Stärke und imperialen Größe und zögert auch nicht vor militärischen Pressionen.
https://www.hr2.de/programm/der-tag/der-tag--back-in-the-ussr--russlands-sehnsucht-nach-alter-staerke,epg-der-tag-1058.html
Die Unruhen in Kasachstan könnten Putins Strategie bezüglich der Ukraine beeinträchtigen. Er hält auch Kasachstan für einen "künstlichen Staat" und hat dort auch Gebietsansprüche. Allerdings ist es eine neue Herausforderung, gleichzeitig dort und an der Grenze der Ukraine militärisch präsent zu sein und geopolitische Interessen wahrzunehmen.
https://www.atlanticcouncil.org/blogs/new-atlanticist/how-kazakhstan-could-shift-putins-calculus-on-ukraine/
In seiner Jahres-Pressekonferenz Ende Dezember 2021 warf Putin dem Westen und vor allem der Ukraine militärische Aktionen und Aggression vor, auch dass der Westen Russland von innen zerstören wolle. https://www.faz.net/aktuell/politik/putins-abrechnung-mit-dem-westen-auf-jaehrlicher-pressekonferenz-17699909.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2
https://www.spiegel.de/ausland/wladimir-putin-auf-jahrespressekonferenz-alle-reden-von-krieg-krieg-krieg-a-2898f17a-2d6e-46f8-aed0-002e41cfed30
In dem Zusammenhang steht auch die Schließung und Verurteilung als fremdländischer Agent der hoch angesehenen Organisation "Memorial", die seit mehr als 30 Jahren die stalinschen Verbrechen aufarbeitet und Menschen ihre Erinnerung wieder zurückgibt. Anne Applebaum schreibt in "The Atlantic", dass Putin nun den Angriff auf die Geschichte gestartet habe. Die Vergangenheit wird zu einem Heldenkult verfälscht, der den Krieg in der Gegenwart rechtfertigt und die Zukunft zerstört. Autokraten wollen Erinnerung manipulieren oder gar auslöschen. Sehr lesenswert!
https://www.theatlantic.com/ideas/archive/2021/12/putins-plot-against-russias-future/620930/
Beste Grüße in der Hoffnung, der Frieden möge erhalten bleiben!
Antje Rempe